Pélé

Das Kraftpaket

9 Jahre alt, Sächsisch-Thüringisches Schweres Warmblut, 157 cm groß

Pélé hat in ihrem bisherigen Leben sowohl großes Glück als auch Pech gehabt. Sie hatte das Glück, die ersten 5 Jahre ihres Lebens beinahe völlig unbehelligt von Menschen auf riesigen Koppeln in einer großen Herde aufzuwachsen. So ist ihr erspart geblieben, was für so viele junge Pferde ihrer Rasse leider zur Normalität gehört: mit zarten 2 Jahren schon in die Ausbildung müssen, mit 3 Jahren als eingeritten und eingefahren verkauft werden und mit spätestens 10 Jahren dann mit kaputtem Rücken aufs Abstellgleis, noch ein paar Jahre so viele Fohlen wie möglich produzieren und dann zum Schlachter.

Ihr Pech war, dass sie die nassen Monate des Jahres zumeist in tiefem Schlamm verbringen musste, was ihren Sehnen und Gelenken nachhaltig geschadet hat, und dass die Hufpflege auf dem Hof, wo sie lebte darin bestand, die Hufe einfach wachsen und wegbrechen zu lassen, bis vielleicht ein, zwei mal im Jahr ein Hufschmied kam und mit wenig Geduld, roher Gewalt und einer Flex das Gröbste entfernte. Dazu wurden jeweils drei starke Männer, Ketten, eine enge Box und manchmal auch eine Brechstange benutzt. Als wir sie das erste mal sahen, hatte sie Hufe wie Frühstücksteller und einen merkwürdigen watschelnden Gang. Der Hufpflege hatte sie sich scheinbar schon eine Weile erfolgreich entzogen, letztlich ist ein Pferd stärker als drei Männer, definitiv schneller und manchmal vielleicht auch schlauer. Außerdem war ihr ziemlich langweilig.

Pélé ist ein Pferd, das uns eine Menge über „Freiheit“, „Wildheit“ und „rohe Kraft“ erzählen kann und darüber, was es bedeutet, bei aller Verwahrlosung, Selbstständigkeit und Verwilderung eben doch ein „Haustier“ zu sein. Sobald wir einen Zaun um den Lebensraum eines Tieres bauen, ist es kein wildes Tier mehr, sobald wir es zwingen in einem menschengemachten Raum zu leben – und sei es eine riesige Koppel – sind wir verantwortlich für sein Wohlergehen. Es ist nicht artgerecht, ein eingesperrtes Tier sich selbst zu überlassen. Und es ist nicht fair, einem Pferd keinerlei Ausbildung als Orientierungshilfe zu geben und es dann dafür zu bestrafen, wenn es nicht versteht, was die Menschen von ihm wollen.

So war es ein großes Abenteuer, diesem Kraftpaket das Konzept einer regelmäßigen und friedlichen Hufpflege zu erklären. Ihre Hufe stehen heute sehr gut da, doch ihre Sehnen und Gelenke werden den knietiefen kalten Matsch nicht so schnell vergessen und sind weiterhin in Behandlung. Ansonsten ist sie jedoch kerngesund und genießt die Vorzüge des Haustierdaseins. Sie liebt es, intensive Zeit zu zweit zu bekommen, stundenlang zu wandern oder neben dem Fahrrad zu joggen. Auch wenn sie nie im klassischen Sinne „einlongiert“ oder „eingeritten“ wurde, kein Gebiss oder ähnliches kennt, trägt sie kleine und große Menschen sanft und unerschrocken durch den Wald und ist eine starke verlässliche Partnerin.

Wenn sie beschließt, zu gehen, weil ihr etwas zu blöd ist, kann man ebensogut versuchen, eine anfahrende Lokomotive festzuhalten. Sie fordert Mut und Ehrlichkeit von ihren Menschen und schenkt mentale Kraft und Klarheit zurück. Dieses Pferd hält man nicht mit dem Arm, sondern mit dem offenen Herzen.

Lisa